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Willkommen bei der Evangelischen Kirchengemeinde Drabenderhöhe.

Fr, 29.Mär 2024, 10:00 Uhr bis 11:00 Uhr (Ev. Kirche Drabenderhöhehe)Gottesdienst
Karfreitag mit Abendmahl

Von Hilmar Kranenberg im Bereich Kirche.

Predigt zum 10.1.2021, 1.Sonntag nach Epiphanias .

Liebe Gemeinde,

die erste Predigt des Neuen Jahres wird sich mit der Jahreslosung beschäftigen. Eine Jahreslosung verstehe ich als eine Art Motto oder Überschrift über das ganze Jahr. Doch leider haben wir sie meistens schon nach ein paar Wochen wieder vergessen. Das ist so ähnlich wie mit den berühmten guten Vorsätzen zu Silvester, von denen wir die meisten auch schon nach ein oder zwei Monaten aufgeben. Ich muss gestehen, dass mir das auch so geht, sowohl was die Vorsätze angeht als auch mit der Jahreslosung. Die kenne ich meist schon so gegen Ostern nicht mehr. So richtig scheint das also mit der Jahreslosung als Motto fürs ganze Jahr nicht zu funktionieren.

Aber wir wollen es dennoch wagen, jedes Jahr aufs Neue! Also widmen wir uns heute dem Vers aus dem Lukasevangelium, der als Jahreslosung 2021 ausgewählt wurde. Dort sagt Jesus zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! (Lk 6,36) Das klingt zunächst einmal recht einfach. Doch was bedeutet das denn: Barmherzig sein? Dieses Wort kommt in unserem normalen Alltag nicht vor, es ist mittlerweile reine Kirchensprache. Ob es je anders war, weiß ich gar nicht. Würde ich willkürlich ausgewählte Menschen auf der Straße fragen, was Barmherzigkeit bedeutet, käme vermutlich von den meisten ein großes Achselzucken. Barmherzigkeit ist für die meisten ein rätselhafter, unbekannter Begriff. Das vergleichbare Wort Gnade kennt man, aber Barmherzigkeit gehört zu den Worten, die außerhalb der Kirchenmauern niemand nutzt und die V iele auch nicht verstehen. Was soll das also sein? Manche Begriffe erklären sich am einfachsten, wenn man sich das Gegenteil vor Augen führt. Das ist in diesem Fall die Unbarmherzigkeit. Ja, das kennen wir schon eher. Unbarmherzig ist vieles, die Unbarmherzigkeit begegnet uns oft, zu oft. Ob man über andere Menschen urteilt, ob man Schulden eintreiben will oder beim Spiel gewinnen möchte: Ohne Unbarmherzigkeit klappt das oft nicht, so meinen wir. Die Schwäche des anderen ausnutzen, unser Recht unbarmherzig durchsetzen. So und nur so kann man sich behaupten, so scheint es. Der mag erschrecken, doch ist es nicht so? Unsere Ellbogengesellschaft kennt Gewinner und Verlierer, das lernen wir schon früh. Auf der Verliererseite will verständlicherweise niemand stehen, deshalb werden wir unbarmherzig. Und was ist, wenn wir ein Auge zudrücken? Nur wenn der andere uns sehr sympathisch ist. Gnädig sein? Nur in wenigen Ausnahmefällen. Nachher wird uns das noch als weichherzig ausgelegt und das will man außerhalb der engsten Familie doch nicht sein. Womöglich werden wir dann ausgenutzt.

Nein, wir wollen deutlich zeigen, wo Macht und Recht sind, und dazu gehört nach unseren Spielregeln unbarmherzig zu sein. Man will keine Schwäche zeigen, das könnte sich ja nachteilig auswirken. So ähnlich denken wir oft und so wird es uns immer wieder vermittelt. Sei es in den Medien, im Beruf, der Schule oder im Privatbereich. Wer barmherzig ist, ist schwach, so scheint es. Schwäche aber wollen wir nicht zeigen, denn die könnte ausgenutzt werden, unserer Karriere schaden oder was auch immer. Zumindest solange wir das Recht auf unserer Seite haben, wollen wir von Barmherzigkeit wenig wissen.

Dem gegenüber steht die Jahreslosung: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Ist also die Jahreslosung ein Aufruf, unrealistisch und weltfremd zu werden? Zu lieb und zu weichherzig für diese kalte, gnadenlose Welt? Das wird uns Christinnen und Christen schon seit fast 2000 Jahren vorgeworfen: Wir sind zu weich, zu verständnisvoll, nicht hart genug. Man muss sich doch durchsetzen, muss zeigen wo es langgeht, wer hier das Sagen hat. Fehlverhalten muss doch bestraft werden, um ihm Einhalt zu gebieten. Doch kommen wir mit dieser Einstellung weiter? Werden wir glücklich, wenn es nur noch darum geht zu zeigen, wer der Stärkere ist? Was ist denn, wenn wir jemanden begegnen, der stärker und mächtiger ist als wir. Beharren wir dann immer noch auf der Unbarmherzigkeit? Fühlen wir uns wohl in einer Welt, wo Nächstenliebe auf die eigene Familie und den engsten Freundeskreis beschränkt wird? Wo man immer so tun muss, als hätte man alles im Griff, als würde man selbst die Regeln bestimmen, nach denen es läuft? Selbst wenn in Wirklichkeit alles zusammenbricht, spielen wir diese Rolle.

Und was ist, wenn wir auf Barmherzigkeit angewiesen sind, weil wir, unsere Angehörigen oder unsere besten Freunde große Fehler gemacht haben? Dann müssen wir doch die gleichen unbarmherzigen Maßstäbe anlegen - oder etwa nicht? Wer unbarmherzig und gnadenlos ist, darf keine Ausnahme machen, sonst wird es ungerecht. Noch nicht einmal bei den Menschen, die wir lieben. An diesem Punkt aber gerät das alles ins Wanken. Denn was ist uns wichtiger: Die Liebe zu anderen Menschen oder die Unbarmherzigkeit der von uns selbst aufgestellten Regeln? Ich denke, die meisten würden sich dann doch für die Liebe entscheiden und damit der Forderung Jesu aus der Jahreslosung entsprechen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Denn was für uns gilt, das gilt erst recht für Gott, unseren himmlischen Vater. Auch da haben wir die Barmherzigkeit nötig. Denn nach Recht und Gesetz würden wir alle mehr oder weniger heftige Strafen erwarten. Wie oft verstoßen wir gegen Gottes Gebote, missachten die göttlichen Gesetze? Sei es das Verbot des Neids, der Lüge, oder die Heiligung des Feiertags. Auch unser Umgang mit Gottes Schöpfung gehört sicher dazu, genauso auch die häufig nur sehr eingeschränkte Gastfreundschaft und Nächstenliebe. Da kommt Gottes Liebe zu uns Menschen ins Spiel und demzufolge auch die Barmherzigkeit. Es ist ja nicht so, dass wir von vornherein für unsere ganzen schlechten Taten begnadigt werden, dass alles durchgewunken wird, was ist und war. Also so eine Art Freibrief für das schlechte Verhalten. So ist es bei Gott nicht, glaube ich. Ich vermute, dass wir Gott, uns selbst und vielleicht auch unseren Nächsten gegenüber dazu Stellung nehmen müssen. Doch ich vertraue darauf, dass Gottes Barmherzigkeit weit größer ist als der Ruf nach angemessener Bestrafung. Und das nicht etwa, weil Gott so ein weicher Typ ist, der niemandem wehtun will und kann. Gott kann auch anders, so erzählt es die Bibel. Gottes Zorn und dessen schreckliche Folgen werden in der Bibel mehrmals erwähnt, aber diese Art der Erziehung seiner Menschen zum Besseren hat zu keinem Erfolg geführt. Genauso wie Schläge noch kein Kind zu einem besseren Menschen gemacht haben. Da haben die meisten Eltern mittlerweile dazugelernt und auch Gott hat an diesem Punkt gelernt, so lesen wir in der Bibel. Weil Gott uns liebt ist er barmherzig, das ist die Erklärung für unseren Straferlass. Und so sollen auch wir tun, sagt Jesus. Barmherzig sein aus Liebe, so wie Gott es mit uns ist. Ob wir die anderen immer so lieben, wie Gott uns liebt weiß ich nicht. Vermutlich eher nicht. Wir Menschen sind mit unserer Liebe sehr wählerisch. Doch das heißt nicht, dass wir unser Recht, unsere Forderungen nach Strafe immer durchsetzen sollen. Auch wir sollen barmherzig sein, sollen verzeihen und Gnade üben. Wir sollen Schluss machen mit der Spirale von Gewalt und Vergeltung. Schluss auch mit unserem Beharren auf Richtig und Falsch, das andere Meinungen immer weniger gelten lässt. Auch das haben wir in den letzten Jahren gespürt, sei es jetzt bei manch populistischen Politikern oder in dem Streit der Meinungen angesichts der Corona-Pandemie: Uns einfach unterhalten, Argumente austauschen und bei all dem den Gesprächspartner als Menschen ernst nehmen, auch wenn er anderer Meinung ist, wird immer schwieriger. Bis vor ein paar Jahren war ein Kompromiss eine gute Sache, weil man sich geeinigt hat und so den Streit verhindern oder beenden konnte. Heute hingegen, so habe ich den Eindruck, wird Kompromisslosigkeit als gute Eigenschaft angesehen und das nicht nur bei Politikern. Doch wer keine Kompromisse sucht, wer die eigene Sichtweise als die einzig Wahre ansieht und sie deshalb unbedingt durchsetzen will, der erntet Frustration, Streit und Wut. Es mag sein, dass so ein Verhalten Applaus bei den eigenen Anhängern gibt, doch was ist mit den anderen, die sich dann unbarmherzig behandelt oder zumindest nicht ernst genommen fühlen? So ist es auch bei der Corona-Pandemie: Man kann sicher über Sinn und Unsinn mancher Maßnahmen geteilter Meinung sein, aber darüber sollte man dann diskutieren. Es hilft jedenfalls nicht, wenn man das Virus verleugnet oder als Werkzeug einer gigantischen Weltverschwörung sieht. Das macht niemanden gesund. Und genauso wenig bringt es das Gespräch weiter, wenn man jeden Zweifel als Spinnerei abtut. Viele Sorgen um die eigene Zukunft oder die der Kinder sind durchaus berechtigt, wenn kein Geld mehr verdient wird, wenn Schulen oder Kindergärten über Wochen und Monate hinweg geschlossen sind. Genauso dass sich Einsamkeit und Depressionen in diesen Zeiten verstärken können. Weitgehende Distanz zueinander verringert gewiss die Ansteckungsgefahr, aber was ist mit der seelischen Gesundheit der Menschen, für die wir Kontakte zu anderen benötigen? Dazu gehören auch Gottesdienste und die Gemeinschaft in der Gemeinde. Auch über so etwas muss diskutiert werden, ohne sich gegenseitig nur die eigenen Standpunkte an den Kopf zu werfen und die andere Meinung als Blödsinn abzutun.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist - das betrifft unser ganzes Leben. Und deshalb ist es als Jahreslosung eine gute Wahl. Es wäre nur schade, wenn es mit der Barmherzigkeit am 31. Dezember 2021 vorüber ist. So soll es ja nicht sein. Manchmal ist es einfach angebracht, etwas mehr über scheinbare Selbstverständlichkeiten nachzudenken. Dazu gehört auch die Barmherzigkeit. Und so verstehe ich die Jahreslosung als Denkanstoß, als Mahnung für unser ganzes Leben. Barmherzig sollten wir immer sein, nicht nur 2021, sondern auch im Jahr 2022 und darüber hinaus. Barmherzig zu allen Menschen, aber auch zu uns selbst. Das sollten wir nicht übersehen. Denn auch wir genügen nicht immer den eigenen Ansprüchen, das beginnt schon bei den guten Vorsätzen fürs neue Jahr. Seien wir also dankbar für Gottes Barmherzigkeit uns gegenüber und bemühen wir uns, es ihm gleich zu tun. Das wäre doch ein toller Vorsatz für 2021!

Schlagworte: predigt ratajek-greier

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  • Zuletzt geändert: 21.11.2022 15:24
  • von Manuel Krischer